Buchkritik Mission
Das wissenschaftliche Lebensthema der Ökonomin Mariana Mazzucato sind Innovationen. Sie forscht dazu und berät die Politik, verfasste etwa als Sonderberaterin des EU-Kommissars für Forschung, Wissenschaft und Innovation einen Bericht über Innovation in der Staatengemeinschaft. In ihrem neuen Buch – „Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft“ – beschreibt die Forscherin, wie Staaten und private Unternehmen gemeinsam die Innovationen hervorbringen können, um die gigantischen Zukunftsaufgaben zu lösen, vor denen wir stehen.
Autor
Um eine gravierende Klimakrise abzuwenden, hält die Ökonomin Mariana Mazzucato ein anderes Verständnis von Staat und Privatwirtschaft für unabdingbar. Denn wenn beide Akteure gemeinsam an einem Strang zögen, könnten sie Gewaltiges leisten, was die Autorin anhand der berühmten Apollo-Mission herausarbeitet, auf die der Titel ihres neuen Buches „Mission“ verweist. Anfang der 1960er Jahre beschlossen die USA, dass bis zum Ende des Jahrzehnts ein Amerikaner den Mond betreten sollte. Ein gewagtes Vorhaben. Denn es mussten hunderte elementare Probleme gelöst und völlig neue Technologien entwickelt werden. Aber das Vorhaben gelang, genauso wie der Bau großer Kathedralen in Europa, für deren Errichtung deren Baumeister im Mittelalter ebenfalls immense Probleme lösen mussten. In beiden Fällen betraten Menschen Neuland und gingen erhebliche Risiken ein. Für die heutigen Herausforderungen sei es wichtig, dass auch die Gesellschaft mit an Bord sei:
Zitatorin
„Es ist unabdingbar, dass Wirtschaft, Staat und Bürgergesellschaft gemeinsam Wert schaffen und sich nicht einer von ihnen in die Rolle des Cheerleaders für den anderen degradiert sieht. Dieser Prozess bedarf einer Definition sowohl der kollektiven Wertschöpfung als auch der Vorstellung von öffentlichem Zweck.“
Autor
Nach herrschender ökonomischer Lehre gelten Märkte als effizient. Grundsätzlich sollte der Staat die Finger von ihnen lassen und nur eingreifen, wenn der Markt versage. Entsprechend dieser Logik können Staaten dann etwa Monopole regulieren, um Marktmissbrauch zu verhindern, oder den Ausstoß klimaschädlichen CO² durch eine Steuer reduzieren. Aber diese Denkweise reduziert den Staat auf die Rolle eines Reparateurs und blendet nach Ansicht der Wissenschaftlerin aus, dass Staaten bei der Schaffung und Gestaltung von Märkten eine wichtige Rolle zukommt. Zum Beispiel weil sie in einem viel größeren Umfang als private Akteure große Risiken schultern können und es sich leisten können, dass eine Menge schief gehe. Trotzdem profitiert die Gesellschaft am Ende gewaltig davon. So setzte die Apollo-Mission eine Menge ungeplanter Innovationen in Gang, weil – so Mazzucato – die Politik private Akteure inspirierte, neue Investitionsmöglichkeiten zu erkennen.
Zitatorin
„Es geht hier nicht darum Investitionen zu erleichtern, sondern darum Investitionen durch die gezielte Schaffung neuer Märkte zu beschleunigen. Dazu kam es im Falle der Mondlandung, die auf Jahrzehnte hinaus Investitionen stimulierte wie etwa im Software-Bereich. In jüngerer Zeit verhielt sich das so mit der grünen Wirtschaft: Nur nachdem der Staat mit hochriskanten, kapitalintensiven Investitionen in grüne Technologien vorangegangen war (man denke an Solarzellen und Windenergie), zog der private Sektor nach, was die Technologien schließlich wettbewerbsfähiger werden ließ.“
Autor
Aber Staaten können neue Märkte nur schaffen, wenn sie die dafür notwendigen Kompetenzen besitzen, etwa entsprechende Fachkräfte in den Verwaltungen arbeiten. Daran hapert es gewaltig. Die Folgen davon erleben Bürger vielerorts in der Pandemie. 40 Jahre Neoliberalismus mit seinem ideologische Leitbild eines schlanken Staates haben Lücken gerissen, gerade was staatliche Kompetenzen anbelangt. Neue Missionen erfordern hier ein Umsteuern. Mazzucato:
Zitatorin
„Um dies zu bewerkstelligen, muss der Staat in seine internen Kapazitäten investieren – er muss Kompetenzen und das nötige Selbstvertrauen aufbauen, kühn zu denken, sich mit Wirtschaft und Bürgergesellschaft zusammentun, neue Formen sektorenübergreifender Kooperationen katalysieren. […] Die Aufgabe dabei ist es nicht, auf Sieger zu setzen oder bedingungslos Geschenke, Subventionen und Garantien zu verteilen, sondern auf die Willigen zu setzen.“
Autor
Der Staat brauche eine Menge williger privater Akteure, um Missionen wie den Aufbau einer grünen Kreislaufwirtschaft oder die Bewältigung der Klimakrise anzugehen:
Zitatorin
„Der Staat kann Missionen unmöglich allein angehen; dazu bedarf es der Zusammenarbeit mit zweckorientierten Unternehmen. (Dies) erfordert (..) die Beschäftigung mit einem der größten Dilemmas des modernen Kapitalismus: der Restrukturierung der Wirtschaft mit dem Ziel, Gewinne wieder in die Wirtschaft zu investieren, anstatt sie zur kurzfristigen Finanzialisierung zu verwenden.“
Autorin
Offen ist, ob die Politik zukunftsfähige Pfade mit der notwendigen Radikalität einschlägt oder – wie schon nach der Finanzkrise – zurückspringt in das alte Gleis und das Leitbild eines schlanken Staats. Es wäre eine vertane Chance für Innovationen, weiß man nach der Lektüre von Mazzucato. Als Leserin und Leser profitiert man von ihrem enormen Wissen über Innovation, ihren Einblicken als Beraterin in das politische Geschehen, ihrer klaren Haltung und visionären Kraft.