Wohnungsbau Von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lernen
Frankfurt, 10.05.2023
In der Nachkriegszeit war es ein Kraftakt, landesweit so viele Wohnungen zu bauen, wie dringend benötigt wurden. Heute blicken Experten auf diese rasante Bautätigkeit zurück und fragen sich nach Lehren für die heutige Zeit des Wohnungsmangels. DLF-Hintergrund. Hier geht es zum Audio.
Neue Wohnungen braucht das Land: Was man aus dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg lernen kann
Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg nahm in Frankfurt am Main schnell Fahrt auf. Dringend benötigte Wohnungen wurden geplant. Die stark zerstörte Paulskirche – ein Wahrzeichen der deutschen Demokratie – wurde am 18. Mai 1948 sogar schon wiedereröffnet.
2 Fritz von Unruh
„Heute, anno 1948, heute, in dieser von der Kriegsfurie so grässlich verwüsteten Stadt.“
Sprecher
Der Schriftsteller Fritz von Unruh lobte in seiner Eröffnungsrede die Mühen des Wiederaufbaus. Dem Oberbürgermeister sei es gelungen:
3 OT Fritz von Unruh [Archiv hrhfdb1: K005357402]
„zusammen mit treu gebliebenen Bürgern aus dem Schutt der einst altehrwürdigen Mainstadt das zerbombte Haus der Nationalversammlung neu aufzubauen. Stein um Stein. Trotz Hitze und Frost. Trotz Krankheit, Verzweiflung und zerschlagenen Seelen.
Sprecher
Es war ein Kraftakt, die Paulskirche so schnell wiederaufzubauen. Ein solcher Kraftakt war landesweit notwendig, vor allem für den Bau von Wohnungen. Millionen Wohnungen waren zerstört oder beschädigt. Mancher sprach damals von Deutschland als dem Vaterland der Obdachlosen. Denn Millionen lebten auf wenigen Quadratmetern. Oft in Behelfsquartieren. Gartenlauben. Wellblechhütten. Baracken. Im Wahlkampf zum ersten Bundestag sprach der spätere Kanzler Konrad Adenauer über die Nöte der Menschen nach dem Krieg.
4 OT Konrad Adenauer [Archiv drhfdb1:K005670838]
„Der Wohnungsbau nimmt dabei aber nach unserer Auffassung die erste Stelle ein. Denn der Mensch, seine Freiheit und seine Rechte ist nichts, wenn er mit seiner Familie noch weiterhin unter einer Wohnungsnot leiden müsste, die in ihren Ausmaßen die Grundfesten der Gemeinschaft zu erschüttern droht. Wenn wir uns klarmachen, dass im Bundesgebiet ein Bedarf von etwa sechs Millionen Wohnungen besteht, wissen wir, dass man nur unter Aktivierung aller privaten und öffentlichen Mittel diese Aufgabe lösen kann.“
Sprecher
Für die Bewältigung der Aufgabe brauchte es die gesamte Gesellschaft. Zum Sinnbild wurden die Trümmerfrauen, die den Schutt der zerstörten Gebäude teils mit ihren bloßen Händen wegschafften.
Ökonom Matthias Günther vom Pestel-Institut in Hannover, das unter anderem zum Wohnungsmarkt forscht.
5 OT Matthias Günther
„Man hatte damals allein in Westdeutschland ja eine Bautätigkeit, ich glaube, von 700.000 Wohnungen in der Spitze. Und heute reden wir hier gesamtdeutsch über einen Bau, der möglicherweise wieder auf 200.000 Wohnungen zurückgeht in den nächsten Jahren.“
Sprecher
Dabei ist es erklärtes Ziel der Bundesregierung, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Aber davon ist sie weit entfernt. Warum konnten Wohnungen damals so schnell gebaut werden? Lässt sich etwas aus dem rasanten Wohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg lernen?
Sicherlich – beide Phasen sind nur bedingt vergleichbar. Die Not war damals im ganzen Land sehr viel größer. Heute fehlt vor allem in den Metropolen bezahlbarer Wohnraum für Menschen mit geringerem Einkommen, nach dem Krieg fehlten dagegen massenhaft Wohnungen in großen Teilen des Landes, weil viel zerstört war: Im Westen ungefähr 25 Prozent der Wohnungen, in den Ballungsräumen sogar 50 bis 80 Prozent. Im Osten etwas weniger. Die Not verschärfte sich durch Millionen Zuwanderer und Flüchtlinge.
6 OT Matthias Günther
„Die Aufgabe war enorm und man hat natürlich einen erheblichen Teil des Bruttoinlandsproduktes damals für den Bau eingesetzt, also deutlich mehr als heute. Das war ja tatsächlich eine gesellschaftliche Aufgabe.“
Sprecher
Denn: Damals stand rechnerisch jedem Bürger im Schnitt nur wenig Wohnfläche zur Verfügung.
6.1 OT Matthias Günther.
„Wir hatten Anfang der 1950er Jahre irgendwie 13 Quadratmeter pro Einwohner. Das war eine echte Aufgabe. Heute haben wir 47 Quadratmeter pro Einwohner.“
Sprecher
Langfristig sah die damalige Bundesregierung die Bereitstellung von Wohnungen als eine Aufgabe an, die der Markt, also die private Wirtschaft regeln sollte. Aber kurz und mittelfristig war nach Ansicht der Politik eine starke staatliche Unterstützung notwendig.
7 OT Matthias Günther
„Wir hatten ja damals das erste und zweite Wohnungsfördergesetz und ganz wesentlich war der soziale Wohnungsbau. Wir haben über 50 Prozent der Wohnungsbautätigkeit damals als geförderten Wohnungsbau ausgeführt. Da stand ja auch so schön drin, Wohnungen für breite Schichten der Bevölkerung. Das war eben damals auch tatsächlich so.“
Sprecher
Sozialer Wohnungsbau, geförderter Wohnungsbau, das heißt: der Staat sieht es als seine Aufgabe an, für seine Bürger bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Der Staat fördert den Bau von Wohnungen, Fachleute sprechen von Objektförderung.
Die erste Bundesregierung gab das Ziel aus, bis 1956 zwei Millionen neue Wohnungen zu bauen. Sie meldete bereits 1953 Vollzug, drei Jahre früher als geplant. Gebaut wurden Geschosswohnungen und Einfamilienhäuser. Mit dem zweiten Wohnungsbaugesetz von 1956 erklärte die bürgerliche Regierung unter Konrad Adenauer dann außerdem die Bildung von Wohneigentum zum Ziel:
8 OT Matthias Günther
„Was heute auch vergessen wird, also der soziale Wohnungsbau von den 50er bis weit in die 70er Jahre, war ja fast zur Hälfte die Eigentumsförderung. Das heißt, auch ganz viel Wohneigentum ist über den sozialen Wohnungsbau entstanden. Heute denkt man ja immer nur an die Mietwohnungen.“
Sprecher
In den 1960er und 1970er Jahren entstanden dann in West- und Ostdeutschland neue Stadtteile auf der grünen Wiese, die sogenannten Trabantenstädte. Viertel wie Köln-Chorweiler. Mannheim-Vogelstang. München-Hasenbergl. Rostock-Lütten-Klein. Vielgeschossige und eng gebaute Wohnblöcke. In den 1980er Jahren kam es dann zu einer wohnungspolitischen Zeitenwende in der Bundesrepublik, die bis heute nachwirkt.
Statt auf den Bau öffentlich geförderter Wohnungen setzte der Bund vor allem auf eine finanzielle Förderung einkommensschwacher Bürgerinnen und Bürger. An die Stelle der sogenannten Objektförderung trat die Subjektförderung.
Auslöser war die sogenannte Fehlbelegung von Sozialwohnungen. Viele Mieterinnen und Mieter hatten aufgrund eines zu hohen Einkommens eigentlich gar keinen Anspruch mehr auf die Wohnung. Zudem galt der Markt als gesättigt. 1986 überließ der Bund deswegen den sozialen Wohnungsbau Ländern und Kommunen, und zog sich zurück.
Die Länder holten wiederum öfter private Investoren ins Boot. Die Folge: es entstanden weniger Wohnungen, die öffentlichen Eigentümern gehörten. Weil außerdem die privat gebauten Sozialwohnungen nach 15 Jahren aus der Sozialbindung herausfallen, sank die Zahl der Sozialwohnungen.
Eine gravierende Veränderung bewirkte zudem in den 80er Jahren der Skandal um die Neue Heimat, die gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft der Gewerkschaften. Vorstandsmitglieder hatten sich an Mietern bereichert. 1986 kam es zur politischen Aufarbeitung:
9 OT Cansel Kiziltepe
„Aufgrund dessen hat man im Parlament einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt.“
Sprecher
Sagt die SPD-Politikerin Cansel Kiziltepe. Der Skandal um die „Neue Heimat“ hatte konkrete Folgen für den Wohnungsbau in Deutschland:
10 OT Cansel Kiziltepe
„Die damalige Regierung, die schwarz-gelbe Regierung, hat die Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland abgeschafft. Und das war eigentlich der Beschleuniger dafür, dass sich gemeinnützige Gesellschaften zurückgezogen haben, aber auch der Staat zurückgezogen hat in dieser Frage. Man muss auch sagen, dass im Endbericht des PUR – also des parlamentarischen Untersuchungsausschusses hier im Deutschen Bundestag -, die Empfehlung nicht war, die Gemeinnützigkeit abzuschaffen, sondern zu reformieren.“
Sprecher
Wohnungsgemeinnützigkeit bedeutete: Wohnungsunternehmen wurden dauerhaft von einzelnen Steuern befreit, wenn sie gemeinnützig handelten. Also indem sie preisgünstigen und sozialen Wohnraum für Menschen bereitstellen, deren Einkommen unterhalb bestimmter Grenzen liegen.
Die Ampel-Koalition will angesichts der Probleme auf dem Wohnungsmarkt dieses erfolgreiche Instrument der Nachkriegsjahrzehnte wiederbeleben. Prinzipiell ist auch die CDU für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit. Eigentlich wollte die Regierung bereits im März Eckpunkte für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit vorlegen. Aber der Termin sei wegen komplexer Rechtsfragen und erforderlichen Abstimmungen nicht haltbar gewesen, sagte Cansel Kiziltepe Ende März noch als parlamentarische Staatssekretärin im Bundesbauministerium.
11 OT Cansel Kiziltepe
„Die Frist ist jetzt der 14. Juni.“
Sprecher
Seit April kümmert sie sich als Senatorin für Arbeit und Soziales in Berlin um das Thema Wohnen. Aber reicht es aus, nur die Wohnungsgemeinnützigkeit wiederherzustellen, um den Mangel an Wohnraum heute zu beheben?
Daran bestehen Zweifel, denn manche Zustände, wie es sie nach dem Zweiten Weltkrieg gab, lassen sich kaum wieder herstellen, wie die Verfügbarkeit von Bauland. In der Hinsicht war Bauen deutlich einfacher.
Der Geograph und Städteplaner Jürgen Aring, Vorstand des gemeinnützigen Bundesverbands für Wohnen und Stadtentwicklung:
12 OT Jürgen Aring
„Damals war ja noch wesentlich weniger dieser Republik besiedelte Fläche. Und es war eigentlich ganz selbstverständlich, dass man eine Stadt am Stadtrand weiter bauen konnte. Das war das Normale.“
Sprecher
Ganze Stadtviertel entstanden auf der grünen Wiese. Städte und Gemeinden entwarfen entsprechende Bebauungspläne.
13 OT Jürgen Aring
„Sie hatten einfach Boden, den sie aufkaufen konnten und dann eben entsprechend beplanen und entwickeln konnten. Und weil das überall ging, war er eben auch noch im Verhältnis zu heute relativ preiswert. Damals haben sie insgesamt günstiger gebaut und sie konnten gleichwohl am Ende ein Objekt haben, wo der Bodenpreiswert vielleicht zehn oder 15 Prozent oder 20 Prozent betrug. Und heute kann das gerne bis auf 50 Prozent ansteigen. Das ist also ein großer Unterschied.“
Sprecher
Aber Platz gab es nicht nur am Rand der Städte, sondern auch in den Städten selbst. Christiane Boehm-Kochanski, die im Nachkriegsfrankfurt aufwuchs.
14 OT Christiane Boehm-Kochanski
„Da, wo die Dornbusch Siedlung war, da war eine riesige Gärtnerei und es gab Landwirtschaft. Ich kann mich als Kind noch erinnern, dass da noch (..) Zuckerrübenfelder waren und auch Getreidefelder und das noch ein Schäfer durch unsere Siedlung zog. Also es war alles noch sehr, sehr viel offener als heute, aber heute sind eben alle Grundstücke ausverkauft und jetzt wird es schwierig. Und der Stadt gehört eben nahezu nichts mehr. Hier im Innenstadtbereich fast gar nichts.“
Sprecher
Zudem ist Bauen auf der grünen Wiese in Verruf geraten. Sagt Jürgen Aring:
15 OT Jürgen Aring
„Wenn Sie das Thema Bodenverfügbarkeit sehen, da gibt es eine große Einigkeit, dass am Stadtrand so wenig wie möglich passieren soll. Fläche gilt als rares Gut.“
Sprecher
Aus gutem Grund: Im Nachkriegsdeutschland hatte sich niemand groß Gedanken gemacht, ob mit dem Bau von Wohnungen, Autobahnen oder sonstigen Projekten Natur zerstört und Flächen versiegelt werden. Das ist heute anders. Man denkt um. Ablesbar an der verbauten Fläche. Vor 20 Jahren wurden hier zu Land rund 120 Hektar pro Tag verbraucht, jetzt noch 60 Hektar.
16 OT Jürgen Aring
„Das politische Ziel liegt bei 30 Hektar pro Tag. Diejenigen, die noch eine Ecke weiterdenken, sagen, das muss eigentlich eine Flächen- Kreislaufwirtschaft sein und man muss mit Null auskommen. Das ist ein ganz anderes Verständnis als in diesen Nachkriegsjahrzehnten.“
Sprecher
In mancher Hinsicht waren manche Städte damals bereits ökologisch fortschrittlich. Beispiel Frankfurt. Die Stadt gründete nach dem Krieg mit Bau- und Metallverarbeitungsfirmen ein Gemeinschaftsunternehmen.
17 OT Christiane Boehm-Kochanski
„Die Trümmer Verwertungsgesellschaft hat ab 1945 im Stadtgebiet überall die Trümmer gesammelt und mit kleinen Bahnen, die durch die Stadt geführt wurden, auf denen, so Kipploren waren, zum Osthafengebiet befördert.
Sprecher
Sagt die Stadtführerin Christiane Boehm-Kochanski, die sich als Laie in einem Projekt für Stadtteilhistoriker mit dem Wohnungsbau in Frankfurt beschäftigt.
18 OT Christiane Boehm-Kochanski
„Dort wurden in einer riesigen Anlage über 20 Jahre lang die ganzen Trümmer recycelt, systematisch auseinandergenommen Holz, Metall, Glas, Stein. Und aus diesen Steinen wurden neue Steine gemahlen. Die sind so grau krümelig, relativ große Hohlblocksteine. Jeder, der in einer Wohnung aus den 50er, 60er Jahren in Frankfurt lebt, kennt die Trümmer Verwertungssteine. Das war die perfekte Kreislaufwirtschaft, die man sich heute wünscht.“
Sprecher
Kreativ waren die Verantwortlichen damals nicht nur bei der Wiedergewinnung von Baustoffen, sondern auch bei der seriellen Fertigung von Bauten. Stadtentwickler Jürgen Aring:
19 OT Jürgen Aring
„Da fällt Ihnen ja für den Osten sofort der Plattenbau ein, also sehr normierte Produkte, die sie etwas unterschiedlich zusammensetzen können, um dann Großwohnsiedlungen zu errichten mit vorgefertigten Teilen. Das ist ganz extrem, aber es hat es in anderen Ländern auch gegeben.“
Sprecher
Noch immer spielt solches serielles Bauen bei Bürobauten eine Rolle, aber beim Wohnen ist es aus der Mode.
21 OT Jürgen Aring
„Beim Wohnungsbau hat man doch das Gefühl da darf gerne das Rad ständig wieder neu erfunden werden, um es mal etwas zugespitzt zu sagen.“
Sprecher
Das kostet Zeit und Geld.
Aber mittlerweile gibt es angesichts des aktuellen Wohnungsmangels eine Diskussion über mehr Standardisierung. Dabei geht es aber weniger um die industrielle Herstellung einzelner Baukomponenten, also das Plattenbauprinzip.
22 OT Jürgen Aring
„Heute habe ich das Gefühl, man schaut eher darauf, dass man wie so eine Art Typenzulassung bekommt. Also wenn es denn erst einmal genehmigt ist und funktioniert, ist und abgenommen ist und die Gewährleistung sicher ist und man wird es wiederholen, dann würde der Planungsprozess schneller gehen. Die Argumentation hat sich da etwas verschoben.“
Sprecher
Eine weitere für den Wohnungsbau wichtige Frage ist: Welche Rolle sollen Staat und Markt spielen? Diese Frage hat die Gesellschaft in Deutschland zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich beantwortet.
In der Gründerzeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielte privates Kapital eine wesentliche Rolle, sagt Andrej Holm. Holm arbeitet als Wohnungssoziologe an der Berliner Humboldtuniversität, und ist in zahlreichen stadtpolitischen Initiativen aktiv .
23 OT Andrej Holm
„Die Gebiete, die heute im Prenzlauer Berg, in Friedrichshain, im Wedding, in Teilen von Kreuzberg, Neukölln, Moabit zu sehen sind, die sind da in sehr, sehr schneller Zeit, aber mit letztendlich privaten Investitionen gebaut worden.“
Sprecher
In der Weimarer Republik setzte der Staat dagegen auf eine starke eigene Rolle. Denn während des Ersten Weltkrieges war der Wohnungsbau erlahmt. Allein in Berlin fehlten mindestens 40.000 Wohnungen. Menschen litten unter hohen Mieten, Grundstückspekulation und einer zu geringen privaten Bautätigkeit.
24 OT Andrej Holm
„Also auch da großer Mismatch an Bevölkerung und Wohnungsbedarfen und den tatsächlichen Wohnungen und da ist das erste Mal tatsächlich ein ganz strenger regulativer Eingriff.“
Sprecher
Zwangsräumungen wurden verboten, erste Mieterschutzregeln eingeführt – gegen den Willen der privaten Vermieter. Vor allem aber bauten nun kommunale Träger und gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen in großem Stil Wohnungen.
25 OT Andrej Holm
„Das heißt, man hat sich in dieser Phase dann schon gar nicht mehr auf die private Wohnungswirtschaft oder Bauwirtschaft verlassen, sondern hat letztendlich mit Steuergeldern finanziert.“
Sprecher
Denn der Staat unterliegt anders als private Investoren keinem Gewinnkalkül. Wenn er will, kann er den Bau von Wohnungen alleine an den Bedürfnissen der Bevölkerung ausrichten. Das war den wohnungsbaupolitischen Akteuren klar, die in den 1920er Jahren in großem Stil Wohnungsviertel schufen.
26 OT Andrej Holm
„Niemand hatte die Erwartung, dass aus den Mieten der Wohnungsbau refinanziert wird, sondern die Erwartung war, dass die Miete langfristig die Bewirtschaftung und die Instandhaltung dieser Wohnungen finanziert.
Sprecher
Auch in der späteren DDR finanzierte der Staat den Bau von Wohnungen komplett aus dem Staatshaushalt und teilte die Wohnungen zu. In Westdeutschland bezuschusste oder finanzierte der Staat ebenfalls einen großen Teil des Wohnungsbaus. Aber private Bauunternehmen verdienten dabei mit – sie standen sogar damals Schlange bei den Städten, um Sozialwohnungen bauen zu dürfen.
27 OT Andrej Holm
„Da waren diese Programme so attraktiv gestaltet, dass man quasi darum gebettelt hat, da reinzukommen. Und das hat aber auch viel damit zu tun, dass das, was als frei finanzierter Markt galt, relativ strengen Mietregulierungen unterlag. Bis in die 80er Jahre hinein, ich glaube bis 1987 gab es eine Mietpreisbindung für Altbauten in Westberlin. Das heißt also, da gab es im Prinzip staatlich festgesetzte Mietpreise.“
Sprecher
In den 1990er Jahren entdeckten Großinvestoren das Geschäft mit den Wohnungen in Deutschland. Weil sich viele Unternehmen und Städte damals von Wohnungsbeständen trennten, konnten sie auf Einkaufstour gehen.
Ökonom Matthias Günther vom Pestel-Institut aus Hannover:
28 OT Matthias Günther
„Diese Wohnungen wurden ja zunächst eher an Finanzinvestoren verkauft.“
Sprecher
Häufig aus den USA.
29 OT Matthias Günther
„Erst in der Folge sind dann eben Konzerne wie Vonovia daraus entstanden, in dem diese Pakete dann im Grunde genommen an die Börse gebracht wurden. Und sie haben das Ganze aus meiner Sicht schon stark verändert.“
Sprecher
Der Dax-Konzern Vonovia ist heute mit rund 500.000 Wohnungen der größte private Vermieter in Deutschland. Viele dieser Wohnungen wurden in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg von gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften gebaut. Das Pestel-Institut und Gewerkschaften wie die IG-Bau sprechen sich dafür aus, dass der Staat bei Vonovia einsteigt – auch wenn das politisch aktuell nicht breit diskutiert wird.
31 OT Matthias Günther
„Wir brauchen wieder mehr Wohnungen im öffentlichen Eigentum, weil dieses, dieses Versprechen auf Wohnraum für alle, eben etwas zu versprechen, was man nicht hat, macht den Staat erpressbar in solchen Situationen, wie wir sie im Moment wieder haben.“
Sprecher
Mit den vielen Wohnungssuchenden. Der Staat garantiert de facto jedem Menschen in Deutschland ein Dach über dem Kopf und muss entsprechenden Wohnraum bezahlen. Aber wenn der Staat über keine eigenen Wohnungen verfügt, dann muss er Wohnraum auf dem Markt anmieten oder Mietzuschüsse leisten, etwa für Empfänger von Sozialleistungen. Das kann teuer werden.
Das ließe sich lösen, wenn der Staat wieder mehr eigene Wohnungen hätte, meint Matthias Günther.
32 OT Matthias Günther
„Wir hatten in der alten Bundesrepublik 1987 einen Anteil von Sozialwohnungen von vier Millionen, vier Millionen bei 15 Millionen Mieterhaushalten“
Sprecher
Heute sind es rund 1,1 Millionen Sozialwohnungen. Können wir etwas aus den Erfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg lernen? Auf jeden Fall kann ein aktiver Staat eine wichtige Rolle bei dem Bau von Wohnungen spielen. Dafür braucht es aber einen breiten gesellschaftlichen Konsens, vor allem, was die Finanzierung preisgünstigen Wohnraums anbelangt. Hier gibt es Ideen, wie eine Abschöpfung von Bodengewinnen über eine Steuer, so wie anderswo existiert. Aber es gibt auch eine neue Herausforderung: klimaangepasstes Wohnen. Dafür muss die ganze Stadt neu gedacht werden und für die Umsetzung ist ein neuer Kraftakt notwendig.