Mindestlohndebatte Hoffentlich zum letzten Mal!
Köln, 10.09.2012
Nachdem die Rentendebatte parteiübergreifend voll entfacht ist, legt die schwarz-rote Koalition in Thüringen nach: Sie legt die Mindestlohn-Debatte neu auf und fordert eine Lohnuntergrenze für alle Branchen. Das wurde allerhöchste Zeit, meint Caspar Dohmen. Die Zeiten, sich gegen einen gesetzlichen Mindestlohn zu sperren, sind vorbei. Hören Sie dazu einen Kommentar in WDR-Politikum.
Schon viel zu lange wird beim Thema gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland nur geredet statt gehandelt. Hoffentlich führt der Vorstoß der thüringischen Landeregierung unter CDU-Ministerpräsidentin Christiane Leberknecht jetzt endlich zur Einführung der überfälligen allgemeinverbindlichen Lohnuntergrenze. Bedarf gibt es nämlich mehr als genug: Mehr als vier Millionen Beschäftigte in Deutschland verdienen weniger als sieben Euro brutto die Stunde und gut zweieinhalb Millionen Beschäftigte erhalten sogar weniger als sechs Euro die Stunde. Sie alle verdienen damit netto kaum mehr als ein Hartz-IV-Empfänger vom Staat zum Leben und Wohnen überwiesen bekommt. Und trotz der zuletzt guten wirtschaftlichen Lage ist der Niedriglohnsektor in Europas Vorzeigevolkswirtschaft weiter gewachsen.
Nach Ansicht der liberalen Ökonomen in Deutschland sollte an diesem Zustand auch nicht mit einem Mindestlohn gerüttelt werden. Ihrer Ansicht nach ist eine allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze schlicht Teufelszeug. Ein Mindestlohn bringe Menschen um ihre Arbeit. Er fördere die Schwarzarbeit und die Abwanderung von Unternehmen ins Ausland. Er erschwere es Geringverdienern, einen Fuß in die Tür des Arbeitsmarktes zu bekommen, lautet das Credo der liberalen Ökonomen. Belegt werden sie mit theoretischen Modellen. Lange Zeit schien die Praxis dies zu bestätigen. Doch daran gibt es jetzt erhebliche Zweifel.
Man wünscht sich, dass dies alle Ökonomen endlich berücksichtigen. Die Aufgabe eines Wissenschaftlers ist es doch, Theorien aufzustellen, und anschließend in der Wirklichkeit zu überprüfen, ob sie stimmen oder falsch sind. Durch die jüngste Finanzkrise ist beispielsweise die Theorie von den effizienten Finanzmärkten eindrucksvoll widerlegt worden, die liberale Ökonomen jahrelang ebenfalls wie ein Mantra gepredigt haben. Obwohl sich immer mehr Belege in der Wirklichkeit dafür finden, dass der Mindestlohn keine zusätzliche Arbeitslosigkeit verursacht, verharrt ein Teil der Ökomomenzunft jedoch weiter auf seiner Ansicht von dessen absoluter Schädlichkeit. So hat erst kürzlich der wissenschaftliche Beirat des vom FDP-Chef Philipp Rösler geführten Wirtschaftsministerium erneut den Mindestlohn abgelehnt. Er malte sogar das Horrorgemälde einer „Politisierung der Lohnbildung“ an die Wand, indem er auf die Situation in der Weimarer Republik verwies. Weil damals das Arbeitsministerium bei Tarifstreitigkeiten schlichten durfte, konnten die Wähler quasi über den Lohn abstimmen.
Allerdings kann man einen Mindestlohn ganz anders konzipieren: So legt in Großbritannien eine unabhängige Kommission den einheitlichen Mindestlohn fest. Und bislang ist diese Kommission keinesfalls von den Parteien instrumentalisiert worden und es gibt im Mutterland des Kapitalismus auch keine Massenarbeitslosigkeit. Selbst in gängigen volkswirtschaftlichen Lehrbüchern heißt es heute schon, dass die Mindestlöhne sich nicht zur generellen Erklärung hoher Arbeitslosigkeit eignen. Gerade weil es immer weniger wirtschaftlich belegte Einwände gegen den Mindestlohn gibt, sollte er schleunigst in Deutschland eingeführt werden. Aus Gründen der Gerechtigkeit und als sozialer Kitt der Gesellschaft ist der Mindestlohn ohnehin schon lange überfällig.