Kommentar Die deutsche Schuld an der europäischen Schieflage
Berlin, 10.04.2013
Europa kann dieser Tage eine wichtige Lektion von Deutschland lernen: Politiker können sich aus verfahrenen Situation befreien, wie jetzt bei der Suche nach einem Endlager für Atommüll. Eine solche Vernunftsentscheidung ist auch notwendig, damit die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa keinen Schaden anrichten, der auf absehbare Zeit nicht wieder gut zu machen ist. WDR
Europa kann dieser Tage eine wichtige Lektion von Deutschland lernen: Politiker können sich aus verfahrenen Situation befreien, wie jetzt bei der Suche nach einem Endlager für Atommüll. Eine solche Vernunftsentscheidung ist auch notwendig, damit die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa keinen Schaden anrichten, der auf absehbare Zeit nicht wieder gut zu machen ist. Die Gefahr ist groß: Denn die bisherigen Lösungsrezepte mit dem deutschen Spardogma für die Krisenländer des Südens haben dazu geführt, dass Europa ökonomisch weiter auseinanderdriftet. Wenn Europas Politiker zu Beginn der Krise eine Ad-hoc-Politik betrieben, dann war das richtig und der Situation geschuldet. Wenn sie jetzt, fünf Jahre später, sehenden Auges zuschauen, wie die Gemeinschaft in eine Katastrophe schlittert, ist das unverantwortlich und unverständlich obendrein: Schließlich herrscht über die Ursachen der wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone doch längst Einigkeit. Hinsichtlich der richtigen Medizin war der politische Diskurs auch schon einmal viel weiter. Aber die Regierungen haben versäumt die Hausaufgaben komplett zu machen. Krisenstaaten wie Spanien, Griechenland oder Portugal hätten den Gürtel enger geschnallt, allerdings weniger eng als es jetzt geschehen ist. Außerdem hätten sie Steuern erhöhen, den Arbeitsmarkt reformiert und ihre Institutionen verbessert. Griechenland hätte beispielsweise eine funktionierende Finanzbehörde eingeführt. Überschussländer, insbesondere Deutschland, hätten zur Beförderung des wirtschaftlichen Gleichgewichts an anderen Stellschrauben gedreht: Es hätte in die eigene Infrastruktur wie Straßen, Schulen und Schienen investiert, was auch die Konjunktur in Europa angekurbelt hätte. Angemerkt sei: Deutschland ist bei staatlichen Ausgaben für die Infrastruktur das Schlusslicht unter den Industrieländern. Vor allem wären jedoch hätte man die Löhne hier zu Lande deutlich erhöht, durch einen politischen Beschluss, was die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns anbelangt, durch Lohnsteigerungen für die Beschäftigten, die über denen in den EU-Partnerländern liegen, als Aufgabe der Tarifparteien für einige Jahre. Von diesen Maßnahmen würde die Bevölkerung in Deutschland enorm profitieren. Es ist rätselhaft, warum die deutsche Gesellschaft diesen Weg nicht einschlägt und stattdessen die Steuergelder vor allem zur Rettung von Banken einsetzt. Allerdings sollten sich die Bürger in Deutschland eines bewusst machen: Die Lage wird sich auf jeden Fall ändern, weil die wirtschaftlichen Ungleichgewichte nicht haltbar sind. Bleibt es bei der jetzigen Krisenpolitik in Europa, dann wird sich die Wirtschaftslage in vielen Ländern weiter verschlechtern. Das ist nicht nur unverantwortlich, wegen der verlorenen Generation junger Menschen und der generell zunehmenden Armut. Es ist auch ökonomisch unsinnig für Deutschland: Wenn die Menschen in unseren Partnerländern kein Geld mehr für unsere Waren haben, bleibt Deutschland auf Waren sitzen. Es gibt also genügend Argumente für einen besonnenen Neustart der Krisenpolitik. Aber der wird wohl nur erfolgen, wenn Bürger in ganz Europa ihren Politikern Beine machen, so wie die Deutschen ihren einst bei der Atomkraft.