Interview Kölner Stadtanzeiger Otto Moralverbraucher
Köln, 18.05.2014
Der Journalist Tim Farin interviewte mich für den Kölner Stadtanzeiger zu meinem Buch Otto Moralverbraucher. Das Interview erschien im Kölner Stadtanzeiger unter der Überschrift: Die Kraft der Konsumenten kann Nachhaltigkeit fördern. Aber wer glaubt, er könne allein durch sein Einkaufsverhalten die Welt retten, der sitzt einer gewaltigen Illusion auf.
KST: Kürzlich war ich spontan einkaufen: Ich hatte erst Biohähnchen in der Hand, nahm dann aber das herkömmliche Fleisch im Sonderangebot. Dazu Biomüsli und einen Fairtrade-Saft. Das alles kam in eine Plastiktüte. Wie schizophren war mein Einkauf?
Dohmen: Leider kann man beim Einkauf nicht davon ausgehen, dass alles sozial und biologisch korrekt ist. Denn Bio- und faire Produkte gibt es nur in der Nische. Es ist uns kaum möglich, uns immer korrekt zu verhalten. Der spontane Kauf einer Plastiktüte passt nicht zum ethischen Anspruch, aber er ist nachvollziehbar. Menschen können nicht alle Entscheidungen des Alltags komplett reflektiert treffen. Deshalb brauchen wir verbindliche Regeln für die Anbieter, damit irgendwann alle Kunden im Supermarkt einkaufen können, ohne sich den Kopf zu zerbrechen, weil es nur noch garantiert Bio und fair gibt.
KST: Es gibt in Deutschland mehr als 1.000 Verbrauchersiegel. Wie behalten Sie selbst den Überblick?
Dohmen: Ich habe einige Konstanten: Mein Geld lege ich bei einer ökologischen Bank an. Kaffee, Saft und einige andere Produkte kaufe ich immer aus fairem Handel. Ich habe kein Auto mehr, sondern eine Bahncard 100. Dazu kommen punktuelle Einkäufe, die ich ethisch begründe. Aber wichtig finde ich, dass man in seinen Alltag einige ethisch vertretbare Gewohnheiten integriert, wenn man es sich leisten kannt.
KST: Ihr Buch heißt „Otto Moralverbraucher“. Wie relevant ist der damit gemeinte Typ des ethisch motivierten Konsumenten in Deutschland?
Dohmen: Es gibt eine große Diskrepanz. Aus Studien wissen wir, dass jeder siebte Konsument beispielsweise auf den fairen Handel eines Produkts achtet. Jeder fünfte Kunde legt Wert auf ökologischen Anbau. Aber wenn man beim Beispiel „Fairtrade“ bleibt, dann gibt jeder deutsche Verbraucher im Jahr durchschnittlich nur so viel dafür aus, wie ein teurer Cappuccino kostet.
KST: Sie haben das Beispiel Fairtrade angesprochen. Den Fairen Handel kennen viele Verbraucher, doch die Produkte bleiben Nischenware – beim Kaffee ist der Marktanteil etwa 2 Prozent. Ändert Fairtrade trotzdem etwas?
Dohmen: Ja, denn der Faire Handel ist ein Stachel im Wirtschaftsgefüge, zeigt dessen Defizite auf. Er beweist, dass es auch mit anderen Regeln und Transparenz geht, dass es nicht immer um die maximale Rendite geht. Kunden können nachvollziehen, wer die Produkte herstellt und wieviel Geld er dafür bekommt. Wobei man sich nichts vormachen sollte: Auch Fairtrade-Produzenten leben fast immer unter extrem einfachen Verhältnissen und sind nicht unabhängig vom Preisdruck des Marktes.
KSt: Brauchen wir mehr „Otto Moralverbraucher“?
Dohmen: Wenn wir es historisch betrachten, sind Gruppen kritischer Konsumenten wichtig, denn sie haben seit Jahrhunderten gesellschaftliche Entwicklungen durch das Mittel des Konsums vorangebracht. Aber es ist illusorisch zu glauben, die Wirtschaft würde sich ausreichend dadurch verändern, dass wir alle zu solchen „Otto Moralverbrauchern“ werden, die jeden Einkauf zur politischen Demonstration machen.
KSt: In Ihrem Buch steht: „Wer heute strategisch einkauft, verbindet damit oft keine politischen Motive, sondern denkt an seine persönlichen Gesundheit und seinen Status.“ Ist bewusster Konsum denn eine rein egogetriebene Mode?
Dohmen: Es gibt diese gesellschaftliche Erscheinung, die Wissenschaftler unter den Begriff LOHAS (Lebensstil, bei dem Gesundheit und Nachhaltigkeit zentral sind) fassen. Diesen Konsumenten geht es nicht zuerst um Gesellschaft, Pflanzen oder Tiere. Sondern: Es soll ihnen selbst gut gehen, sie wollen schöne und gesunde Produkte. Das finde ich bemerkenswert, denn die Idee des politischen Konsums kommt ursprünglich von Leuten, die auf die politische Veränderung der ganzen Gesellschaft zielten.
KSt: Beispielsweise?
Dohmen: Richtungweisend war die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei in Großbritannien im späten 18. Jahrhundert. Das waren hochmotivierte Leute, die ein Menschenrecht durchsetzen wollten und dafür ökonomischen Druck entfachten. Sie nutzten die Mittel der Petition und des Boykotts von Waren und waren nach langem Kampf erfolgreich.
KSt: Der Boykott ist auch heute noch ein beliebtes Mittel, gerade angetrieben durch soziale Medien im Internet. Was bewirkt ein Boykott?
Da sich ein Boykott praktisch immer gegen einzelne prominente Unternehmen richtet, zielt er auf deren Kern, ihr Image, ihre Marken. Shitstorms etwa haben ernstzunehmende Konsequenzen für das Image. Weniger kann man jedoch davon ausgehen, dass dieser Aktionismus sich gravierend in Zahlen niederschlägt. Über einen Konsumenteboykott gestolpert ist meines Erachtens nach noch kein global Player.
KSt: Gibt es Opfer, die es zu Unrecht trifft?
Dohmen: Ja, nehmen Sie beispielsweise die Boykottaufrufe gegen Wodkafirmen im Zuge der diskriminierenden Homosexuellengesetzgebung in Russland. Die betroffenen Unternehmen sind überhaupt nicht mehr russisch. Moralisches Boykottieren kann eben auch Unschuldige treffen.
Ein Beispiel für Boykottaufrufe durch Moralverbraucher ist auch Hess-Natur, nachdem der Ökomode-Hersteller von einem Investor gekauft wurde, der auch an Rüstungsunternehmen beteiligt ist.
KSt: Wie wichtig ist denn die Identität eines Investors, wenn man die positive Arbeit des betreffenden Unternehmens dagegenstellt?
Dohmen:Ich finde solch eine pauschale Reaktion zu kurz gegriffen, solange sich an den Produkten der Textilfirma nichts ändert. Wenn das Unternehmen weiter so hohe Standards vertritt, ist es doch in Ordnung, wenn der Investor sich ein bisschen wandelt und hiermit Geld verdient. Es ist ja als Ergebnis besser, als wenn der Investor nur in Waffen investiert. Wer hier moralisiert, zementiert eher die Verhältnisse, als Dinge zum Guten zu verändern.
KSt: Wenn man Ihr Buch liest, bleibt hängen: Abstimmung mit dem Einkaufswagen reicht nicht, um die Welt zu verändern.
Dohmen: Es ist Zeit, politisch zu werden. Es ist eine Illusion zu glauben, dass Konsumenten mit ihrem Einkauf über gesellschaftliche Entwicklungen wirkungsvoll abstimmen können. Die Menschen müssen sich einbringen, um Dinge zu verändern. Am einfachsten ist das bei Onlinepetitionen, wie etwa von Campact oder Avaaz. Viele sind auch in NGOs aktiv oder gründen gar soziale Unternehmen. Am Ende kommt man aber nicht um die politischen Arenen herum. Es braucht weiter politische Parteien und Gewerkschaften, um bindende Entscheidungen herbeizuführen.
KSt: Also: Wir brauchen mehr Gesetze, um Nachhaltigkeit zu fördern?
Dohmen: Ja. Denn heute ist es sogar oft so, dass Unternehmen unter sonst gleichen Bedingungen benachteiligt werden, wenn sie sich um Arbeiterrechte und Umweltschutz kümmern – denn dann sinken die Renditen. Wir kommen um starke staatliche Regeln nicht umher, wenn wir solche Wettbewerbsverzerrungen beenden und eine soziale und grüne Wirtschaft schaffen wollen.
(Interview Tim Farin)